Was unterschreib ich da eigentlich? mal genauer hingesehen...

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Wer hat sie nicht in seinem Facebook Newsfeed, die Aufrufe dieses oder jenes zu liken, das eine oder andere zu adden und so manches zu unterschreiben. Online Petitionen zum Beispiel. Vieles macht Sinn, manches eher weniger, und hinter manchem davon versteckt sich dann vielleicht doch etwas anderes, als man zunächst vermutet.

Gelegentlich hab ich dann Zeit, den Dingen genauer auf den Grund zu gehen und fange an zu recherchieren, um was es da denn geht, wer denn nun gerne meine Unterschrift hätte. Immer mach ich das nicht. Vor allem AGBs und EULAs klicke ich doch meistens eher schnell weg. Wer weiß, vielleicht hab ich meine Seele nun schon mehrfach dem Teufel verkauft.

Nicht falsch verstehen, ich hab nichts gegen solche Aufrufe. Für viele NGOs ist das virale Marketing wohl eine der wenigen Möglichkeiten, neben dem von mir so geliebten Fundraising, ins Bewusstsein zu rücken. Aber manches möchte ich doch hinterfragen.

Letztens, zum Beispiel, fand ich wieder mal einen Aufruf, eine Online Petition gerichtet an die parlamentarische Versammlung des Europarates. Eine Plattform namens CitizenGo erhofft sich meine Unterschrift zum Thema „Tötung frühgeborener Kinder verhindern!“. Da ist man erst mal geschockt und denkt sich: Wahnsinn, was der Mensch alles aufführt. Das unterschreib ich sofort. [Quelle]

Im Text hieß es weiter:

In Europa überleben alljährlich viele Kinder, die nach der 20. Schwangerschaftswoche abgetrieben werden, die Abtreibung. Sie sind dann in den meisten Fällen dazu verurteilt, ohne Versorgung und unter schlimmsten Qualen zu sterben. Oft kämpfen sie bis zu ihrem Tode mit extremer Atemnot. Viele von ihnen werden nach der Abtreibung durch tödliche Injektionen umgebracht oder erstickt. Anschließend werden sie oft ‚mit dem Müll entsorgt‘.

DISCLAIMER:

An dieser Stelle möchte ich festhalten, dass ich Schwangeschaftsabbrüche nicht werten möchte. Persönlich gibt es für mich Gründe, eine Abtreibung in meiner Familie kategorisch auszuschließen, aber es steht mir sicherlich nicht zu, Entscheidungen anderer in solchen Fällen zu kritisieren, besonders wenn man die Umstände nicht kennt. Und darum soll es in diesem Beitrag auch gar nicht gehen. Sondern darum, was und für wen man etwas möglicherweise unterschreibt, wenn man nicht recherchiert.

CitizonGo scheint eine Plattform zu sein, die aus Spanien heraus Europa weit die Möglichkeit bietet, Online Petitionen zu starten. Diese Petition kommt von ECLJ , einer recht offiziell aussehenden NGO mit dem klingenden  Namen „European Centre For Law And Justice“, die offensichtlich ebenfalls christliche Werte unterstützt. Ich klicke mich mal so durch die Seite von CitizenGo um zu sehen, was denn da sonst so gern unterschrieben werden würde. Da fing ich dann an, etwas stutzig zu werden.

Von der Wiedereinführung der alten österreichischen Bundeshymne, also der ohne Töchter (3202 Unterschriften, Stand 27.11.2014) war die Rede. Eine Petition gegen die letzten Life Ball Plakate. Eine für den Gottesbezug in der Landesverfassung von Schleswig-Holstein. Kein Porno hier, kein Bordellbus da, und so weiter und so fort. Das sind alles legitime Forderungen (fordern darf man ja), aus einer doch recht eindeutigen Richtung. Üblicherweise sind solche Kreise auch meist generelle Abtreibungsgegner. Steht ihnen zu, das dürfen sie auch. Ich muss ja nicht derselben Meinung sein.

Also hab ich mir die Links in der Petition genauer angesehen. Der Titel noch mal: „Tötung frühgeborener Kinder verhindern!“. Ja, da kann ich zustimmen. Erst im Text dann der Hinweis, dass es um überlebende Föten von Abtreibungen geht.  Man könnte wohl behaupten, dass der Titel der Petition schon mal etwas irreführend ist, aber ich hoffe ja doch, dass die meisten, die sowas unterschreiben, weiterlesen als nur bis zur Überschrift.

Im Weiteren befasst  sich der Text mit ein paar, nennen wir es mal Fakten, beispielsweise, dass der Menschenrechtskommissar sich für unzuständig erklärt, dass es schon eine Anfrage gab,  und dann noch den Link zu einer Studie. Sehr gut. Danke. Links sind immer erwünscht.

Also klicke ich den Link und mache mir die Mühe. Er führt  zu einem PDF, einer Studie des  BJOG, An International Journal of Obstetrics & Gynaecology [Quelle]. Und als erster sticht mir schon der Titel der Studie ins Auge: „Termination of pregnancy for fetal anomaly“.
Moment. Fetal anomaly, soweit reicht mein Englisch, hat wohl mit Schwangerschaftsabbrüchen aufgrund einer Diagnose zu tun. Das macht die Sache zwar auch nicht schöner, aber das ist doch ein recht wichtiges Detail, finde ich. Das wird aber in der Petition mit keinem Wort erwähnt. Komisch. Ich will die Abtreibungen aufgrund einer Diagnose auch nicht beurteilen. Selbst dann könnte ich das nicht machen (und da geh ich mit meiner Frau, der A., konform).  Zum Thema Pränataldiagnostik hab ich auch meine Ansichten, denn ich bin der  Meinung, dass man sich viel zu wenig Gedanken darüber macht, was passiert, wenn eine „positive“ Diagnose erstellt wird.

Wie auch immer, darum geht es hier auch nicht, sondern immer noch um die Petition. Dieses kleine Detail wurde nur ganz am Rande angedeuted, nämlich mit dem Hinweis, dass es hier um Abbrüche ab der 20. Schwangerschaftswoche geht. Da muss man schon ein bisschen bewandert sein, oder recherchieren, um zu wissen, dass sowas trotz der österreichischen Fristenlösung nur in bestimmten Ausnahmen erlaubt ist.

Meine Schlussfolgerung  ist, dass hier die Plattform CitizenGo, beziehungsweise das „European Centre For Law And Justice“, durch Vorenthaltung eigentlich relevanter Dinge auf Unterschriftenfang geht. Man kann zu Abtreibungen stehen, wie man will, aber das Detail wegzulassen, geht nicht. Die Frage nach dem Einzelschicksal von Familien, die sowas durchmachen muss man sich stellen. Die Frage, ob diese Kinder lebensfähig gewesen wären, sollte auch gestellt werden dürfen. Und ja: ob das ethisch vertretbar ist, darf man zum Gegenstand einer Petition machen.

Ich bin nicht dafür, dass frühgeborene Kinder getötet werden. Ich bin dagegen, so wie wohl jeder, der über diese Headline stolpert.  Aber das war eben nur die Überschrift. Fast könnte man vermuten, dass hier absichtlich Fakten weggelassen oder versteckt wurden, um generell Stimmung gegen Abtreibung zu erzeugen. Und ich hätte hier für eine Plattform unterschrieben, von der ich jetzt behaupten möchte, dass die Macher tendenziell konträr zu meiner Weltanschauung stehen. Jetzt mal diplomatisch formuliert.

Ich hab die Petition nicht unterschrieben. Das Thema selbst lässt mich allerdings etwas ratlos zurück.

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